Goldschmied der Worte

Zurzeit lese ich den Roman „Nachtzug  nach Lissabon“ von Pascal Mercier.  Das Buch handelt von einem Lateinlehrer, der sich von der Schweiz aus spontan auf dem Weg nach Portugal macht, um ein Geheimnis aus der Vergangenheit zu klären. Ich finde den Schreibstil des Autors wundervoll.
Es folgen ein paar Textpassagen, die mir sehr gefallen.
„Dass Worte etwas bewirkten, dass sie jemanden in Bewegung setzen oder aufhalten, zum Lachen oder Weinen bringen konnten; schon als Kind hatte er es rätselhaft gefunden, und es hatte nie aufgehört, ihn zu beeindrucken. Wie machten die Worte das? War es nicht wie Magie?“
„In der Jugend leben wir, als seien wir unsterblich. Das Wissen von der Sterblichkeit umspielt uns wie ein sprödes Band aus Papier, das kaum unsere Haut berührt. Wann im Leben ändert sich das? Wann beginnt das Band, uns enger zu umschlingen, bis es uns am Ende würgt? Woran erkennt man seinen sanften, doch unnachgiebigen Druck, der uns wissen lässt, dass er nie mehr nachlassen wird? Woran erkennt man ihn bei den anderen? Und woran bei sich selbst?“
„Wenn es so ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem leben können, was in uns ist – was geschieht mit dem Rest?“
„Ich möchte nicht in einer Welt ohne Kathedralen leben. Ich brauche ihre Schönheit und Erhabenheit. Ich brauche sie gegen die Gewöhnlichkeit der Welt. Ich will zu leuchtenden Kirchenfenstern hinaufsehen und mich blenden lassen von den unirdischen Farben. Ich brauche ihren Glanz. Ich brauche ihn gegen die schmutzige Einheitsfarbe der Uniformen. Ich will mich einhüllen lassen von der herben Kühle der Kirchen. Ich brauche ihr gebieterisches Schweigen. Ich brauche es gegen das geistlose Gebrüll des Kasernenhofs und das geistreiche Geschwätz der Mitläufer. Ich will den rauschenden Klang der Orgel hören, diese Überschwemmung von überirdischen Tönen. Ich brauche ihn gegen die schrille  Lächerlichkeit der Marschmusik. Ich liebe betende Menschen. Ich brauche ihren Anblick. Ich brauche ihn gegen das tückische Gift der Oberflächlichen und Gedankenlosen. Ich will die mächtigen Worte der Bibel lesen. Ich brauche die unwirkliche Kraft ihrer Poesie. Ich brauche sie gegen die Verwahrlosung der Sprache und Diktatur der Parolen. Eine Welt ohne diese Dinge wäre eine Welt, in der ich nicht leben möchte.“
Eine Träumerin