Selbstbetrachtungen auf dem Weg
Ich startete meine 4-tägige „Pilgerreise am Jakobsweg“ am Fuße des Stiftes Göttweig. Jedes Mal, wenn ich diesen prachtvollen Bau von der Ferne betrachte, denke ich mir, die Benediktinermönche haben sich in allen Ländern die schönsten Plätze ausgesucht, um dort ihre Klöster zu erbauen.
Beim Aufstieg geriet ich ins Schwitzen und mein Atem wurde tiefer und schneller. Auf diese Weise kann man auch Atemtherapie machen, dachte ich mir. Ich las in einem interessanten Artikel, dass der Atem ein Weg in das ganz tiefe Innere der Seele ist, er ist quasi ein Weg von innen nach außen. Bewusstes Atmen verbindet Körper, Gefühle und Verstand. Es soll sogar möglich sein, seine negativen Emotionen abzuatmen.
Oben angelangt freute ich mich über den schönen Ausblick. Die Landschaft der Wachau ist von der Donau und den sanften Weinbergen geprägt. Auf keinen Fall wollte ich das linke Donauufer „links“ liegen lassen. Ich benutzte die Fähren auf der Wanderstrecke, um immer wieder einmal vom Jakobsweg abzuweichen und ein paar schöne Orte auf der anderen Seite zu besuchen. Neben den imposanten Stiften Göttweig und Melk gab es Burgen und Ruinen zu sehen, die mich an die vielen alten Geschichten und Sagen der Gegend erinnerten.
Da ich alleine unterwegs war, konnte ich in meinem Tempo marschieren und hatte auch schnell meinen Rhythmus gefunden. Hat man den gefunden, „geht“ es sich leichter. Wahrscheinlich gibt es aus diesem Grund die Marschlieder beim Militär. Der Mensch ist ein rhythmisches Wesen, leider beachte ich das viel zu wenig.
Ich entdeckte auch, dass Wandern einen meditativen Effekt hat. Irgendwann kam ich in einen Zustand, in dem jeder Augenblick sehr lang wurde, es entstand ein immerwährender Augenblick, Raum und Zeit verschmolzen und ich hätte bin zum Ende der Welt gehen können. Die Achtsamkeit für das „Hier und Jetzt“ wird beim Gehen auf untergrundflexiblem Gelände besonders gefördert. Einerseits ist man in einer rhythmischen Bewegung, andererseits muss man achtsam sein und jeden Schritt genau setzen.
Im Laufe der Zeit begann ich, Selbstgespräche zu führen. Zuerst waren es noch Themen, die mich gerade beschäftigten, ich fand Argumente dafür und dagegen. Nach einer Weile wurde daraus eine Selbstanalyse, Unterbewusstes kam zutage, wurde langsam herausgespült, Verdrängtes löste sich auf.
Wandern lockt immer auch meine kreative Seite hervor. Angeregt durch die wunderschöne Natur entstehen neben den äußeren Bildern auch eine Menge innerer Bilder. Wolkengebilde, der Flug der Schwalben, scheinbar alles, was ich sehe, wird zur Nahrung für meine Fantasie.
Wenn mein Körper in Bewegung kommt, kommt auch mein Geist in Bewegung. Ich gehe mit dem Kopf. Ich gehe, also denke ich. Der Philosoph Kierkegaard sagte einst: „Ich habe mir meine besten Gedanken ergangen und kenne keinen Kummer, den man nicht weggehen kann.“ Ich kann diese Erfahrung nur bestätigen.
In friedlich gelöster Stimmung entdeckte ich die Langsamkeit wieder.
Mein Resümee am Ende der kleinen „Pilgerreise“: Ich habe mich auf den Weg gemacht und mich ein Stück weit von meinem Alltag distanziert. Durch den gewonnenen Abstand konnte ich neue Perspektiven entwickeln, bekam einen Überblick über meine seelische Situation. Die Erhabenheit der Natur führte dazu, dass sich die Dinge ein Stück weit relativierten.
Nach dem zweiten Tag war ich erschöpft und mir tat so manche Körperstelle weh, aber ich habe die Zähne zusammengebissen und bin weitermarschiert. Ich habe meine Komfortzone verlassen und erkannt, dass mir dieser Verzicht viel geben kann. Ich habe Stärke und Ausdauer gezeigt. Hurra!
Eine Träumerin