Im Fluss sein
Das frühsommerliche Wetter vom letzten Wochenende zog mich in das wildromantische Aisttal. Ich begann meinen Rundweg beim Ausflugsgasthaus Kriehmühle. Der erste Abschnitt des Weges führte mich durch offenes Land. Nach 30 Minuten erreichte ich das Ufer der Feldaist.
Der Weg ist teilweise felsig, riesige Granitblöcke werden vom Wasser umspült, später bahnt sich der Fluss zischend und tosend seinen Weg zwischen den stummen Kolossen. Weiter flussabwärts beruhigt sich sein Wasserlauf, friedlich und entspannt lässt er jetzt den mitgerissenen Sand und Schotter fallen, so entstehen sanfte Bänke, eine unwiderstehliche Verlockung für alle, die es ins Wasser zieht.
Während ich gemütlich meine Jause aß, schaute einem Vater mit seinen zwei Kindern zu, wie sie auf einer sieben Meter hohen Felsformationen das Klettern übten, ein paar Mutige widmeten sich schon dem Badevergnügen und ich sonnte mich auf einer Sandbank und ließ meine Gedanken schweifen.
„Panta rhei“, alles fließt, heißt der lapidare Satz des Vorsokratikers Heraklit. Und von ihm stammt auch der Spruch: „Keiner steigt zweimal in denselben Fluss.“ Flüsse sind Symbole des Lebens. Ist die Feldaist schon ein Fluss oder noch ein Bach? Egal, jeder Fluss fängt klein an. Fast unscheinbar. Sein Wasser hat in den Wolken und unter der Erde seinen Ursprung. Geht man die Rinnsale entlang, sieht man, dass sie sich vereinigen, zusammenfließen, größer werden und breiter. Was klein angefangen hat, wird plötzlich groß, bekommt Wucht und Kraft, erhält Strömung, reißt mit.
Für mich sind Flüsse Lehrer, sie lehren das Leben. Auf unserem Weg von der Quelle (der Geburt) zu unserem Schicksal (dem Tod), werden wir ständig mit neuen Landschaften konfrontiert. Wir müssen, was neu ist, mit Freude betrachten und nicht voller Angst – denn es ist unsinnig, das Unausweichliche zu fürchten. Ein Fluss fließt immer weiter. (Das schreibt sich so leicht.) In einem Tal geht es langsamer voran, das Wasser beruhigt sich, wir weiten uns, werden größer und freigiebiger. Unsere Ufer sind fruchtbar. Dort, wo Wasser ist, gibt es Vegetation. Wer mit uns in Kontakt tritt, muss wissen, dass wir dort sind, um dem Durstigen etwas zu trinken zu geben.
Mein Blick blieb an den riesigen Granitblöcken hängen, die von der Aist umspült wurden. Steine müssen umrundet werden. Wasser ist bekanntermaßen stärker als Granit, aber es braucht Zeit. Es bringt nichts, sich von Hindernissen, die stärker sind, beherrschen zu lassen oder gegen sie anzukämpfen, so verschwenden wir nur unsere Energien. Es ist besser, nach einem Ausweg Ausschau zu halten und ihn zu nutzen. Während wir voranschreiten, kommt anderes Wasser aus anderen Quellen hinzu. Dann sind wir nicht mehr allein, sondern eine Gemeinschaft. Dies macht uns stärker. Wir transportieren Blätter, Schiffe, Gedanken, wir sind eine Inspirationsquelle. Daher möchte ich das letzte Wort einem Dichter überlassen. „Nur wer weiß, was Schönheit ist, blickt das funkelnde Wasser eines Flusses mit völliger Hingabe an.“ (Krishnamurti)
Eine Träumerin