Allem kann ich widerstehen, nur der Versuchung nicht.


Vor ein paar Tagen saß ich mit einer Freundin in einer Konditorei. Als ich das Kaffeeobers in die Hand nahm, musste ich schmunzeln und hielt es meiner Freundin unter die Nase. Sie musste lachen und meinte: „Dieser Spruch passt ganz und gar zu dir.“ Welche Weisheit stand auf dem Kaffeeobers? Allem kann ich widerstehen, nur der Versuchung nicht.
Amüsiert antwortete ich: „Nun, so leicht verführbar bin ich auch wieder nicht.“ Sie widersprach entschieden: „Meine Liebe, wer dich kennt, weiß genau, wie er dich verführen kann. Wenn die Konditorei deinen Lieblingskuchen schön in ihrer Vitrine präsentiert hätte, würdest du ihn jetzt Bissen für Bissen genießen. Deinen Vorsatz, auf Zucker zu verzichten, hättest du einfach ignoriert.“ Sie kannte mich gut.
 
Eine Stunde später stand ich in einem Lebensmittelmarkt in der Schlange bei der Kassa. Ich blickte auf die schönen Tulpen, die dort aufgebaut waren. Die Blüten waren alle noch geschlossen, sie hatten meine Lieblingsfarben und der Preis war sensationell. Draußen war ein trüber, kalter Februartag und hier stand kübelweise symbolisch der Frühling vor mir – mit dem Versprechen von Sonne, Wärme und Farben. Ich musste sie haben und nicht nur einen kleinen mickrigen Strauß. Mit einem Arm voller Tulpen ging ich nach Hause und dekorierte sie kunstvoll in einer Vase. Ich hatte ein Lächeln im Gesicht und summte ein Lied dabei. Bei mir war der Frühling eingezogen. Ich bin so verführbar!
 
Genau so groß ist meine Freude über das Schnäppchen vom Ausverkauf. Eigentlich brauchte ich keine weiteren Stiefel, aber dieses Modell mit Absatz und Schnürung hatte ich schon seit drei Jahren gesucht. Sie waren sooo stylish und passten mir perfekt. Ich musste sie einfach kaufen. Allem kann ich widerstehen, nur der Versuchung nicht.
Gestern sah ich eine Doku über die Funktionsweise des Gehirns und jetzt habe ich eine Erklärung, warum ich so sehr schwer widerstehen kann. In meinem Gehirn läuft dabei Folgendes ab. Ich sehe zum Beispiel einen Faschingskrapfen. Mein Stammhirn sagt: „Beiß rein, wer weiß, wann es wieder etwas zu essen gibt. Mein limbisches System schüttet Neurotransmitter aus, die wie Drogen wirken und den Krapfen für mich unwiderstehlich machen. Der Krapfen hat die perfekte Rundung, ist wunderbar gebräunt und diese herrliche Decke aus Staubzucker obendrauf, lässt mir das Wasser im Munde zusammenlaufen. Dann ist da noch dieser Duft, der von ihm ausgeht, er löst in mir Verlangen aus.
 
Mit Vorfreude und von Lust erfüllt, strecke ich meine Hand nach diesem süßen Etwas aus. Inzwischen meldet sich mein Großhirn mit der Information, dass er sehr kalorienreich ist und dick macht. Außerdem erinnert es mich an meinen Vorsatz, nach Faschingsdienstag keine mehr zu essen. Allerdings merkt es auch an, dass die Saison für Krapfen bald zu Ende geht und es dann keine mehr zu kaufen gibt, also warum sich nicht noch einmal den Genuss gönnen?
Jetzt, wo ich weiß, was in meinem Gehirn abläuft, ist mir auch bewusst geworden, warum mein Wille, der im Großhirn sitzt, keine Chance hat, sich durchzusetzen. Sobald irgendetwas mein limbisches System aktiviert, bin ich verführbar und kann nicht widerstehen.
Die Gefühle sind stärker als jede Logik und stärker als der Wille.
 Eine Träumerin