Demokratie und ihre Probleme
„Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.“ (Sir Winston Churchill)
Dieses Zitat spiegelt meine derzeitige Politikverdrossenheit wider. Es regt aber auch
zum Nachdenken an, besonders in einem Wahljahr wie diesem. Ist es klug, sich auf die Schwarmintelligenz zu verlassen und zu hoffen, dass die Richtigen gewinnen werden, und was tun, wenn die Falschen das Rennen machen?
Die liberale Demokratie ist eine sehr junge Regierungsform und ein historisches Experiment mit offenem Ausgang. Es gibt sie in vielen europäischen Ländern erst seit einigen Jahrzehnten, und sie wird in manchen von ihnen schon ausgehöhlt. Demokratie braucht nicht nur starke Institutionen, sondern auch weniger klar definierbare Voraussetzungen wie: ein gewisses Grundverständnis für diese Regierungsform, eine Art von Anständigkeit, Selbstkontrolle, Respekt im Umgang mit anderen, Respekt vor Fakten. Wenn diese Voraussetzungen unterminiert werden, gerät die Demokratie aus dem Gleichgewicht und wird irgendwann zusammenbrechen.
Ich möchte so gerne glauben, dass die Demokratie funktioniert. Die Wahl einer Partei alle vier oder fünf Jahre stellt für mich keine ernsthafte Beteiligungsmöglichkeit an dieser Staatsform dar. Es ist mir auch nicht möglich, mich einer Partei anzuschließen, denn sie sind undemokratisch organisiert und hierarchisch aufgebaut. Seilschaften, Financiers und Lobbyisten bestimmen den Kurs, die politischen, ökonomischen und medialen Eliten sind bestens miteinander vernetzt. Viele Menschen glauben mittlerweile, dass Regierungen und Parlamente in vielen Bereichen eine Agenda gegen das Volk führen.
Doch zu einem Herrschaftsverhältnis gehören immer zwei: Eine Seite, die Macht missbraucht, und eine andere, die dieses Unrecht duldet und zu wenig dagegen unternimmt. Bisher haben immer andere die Spielregeln für uns entwickelt: die Könige und Kaiser, die Kirche, mehr oder weniger gewählte Vertreter.
Für mich bedeutet Demokratie mehr als freier Weltmarkt. Demokratie heißt für mich, dass jeder das Recht auf Selbstbestimmung, auf Bildung, freie Meinungsäußerung so wie das Recht, seine Regierung zu wählen, hat. Zugang zu kulturellen Einrichtungen gehört ebenso zur Demokratie wie das Recht darauf, objektiv und umfassend informiert zu werden. Im Grunde sollen bei dieser Regierungsform, die Interessen des ganzen Volkes repräsentiert werden, jedenfalls eines größtmöglichen Spektrums, und dass jeder jede Frage stellen darf, egal wie unbequem sie auch sein mag.
Jeder Einzelne kann Politik praktizieren: mit eigenen Ideen und Initiativen, mit Vertiefung in Projekte, mit der Bereitschaft, darüber zu streiten, mit geistiger Autonomie statt Unterwerfung, ohne thematische Selbstbeschränkung. Meist sind politische Umwälzungen von Minderheiten ausgegangen, außerhalb der Ministerien und Parlamente. Da sind Menschen gewesen, die sich aufgelehnt haben, deren Anliegen nach vielen Konflikten schließlich in der Gesellschaft als Demokratie-, Sozial-, Frauen-, Umwelt- und Friedensbewegung auf Widerhall stieß und deren Zustand veränderte.
Demokratie bedeutet Volksherrschaft. Wenn die Bevölkerung tatsächlich „über allem“, also über der Regierung, über dem Parlament und über der Verfassung stünde, dann könnte….