Der Kampf um Aufmerksamkeit

 
Um voll und ganz bei der Sache zu sein, darf man an nicht anderes denken, darf man nichts anderes tun, darf man sich von nichts und niemandem ablenken lassen. Genau das ist heutzutage aber fast nicht möglich. Dabei ist Aufmerksamkeit außerordentlich wichtig. Eine Unachtsamkeit im Straßenverkehr kann uns schlimmstenfalls das Leben kosten. Mein Schwager, der Bergsteiger ist, kann sich, wenn er in einer Wand nach oben klettert, ebenfalls keine gröberen Ablenkungen leisten.
Allerdings wandert unsere Aufmerksamkeit im Alltag ständig und das wird heute noch verstärkt durch die vielen äußeren Reize wie das Cover einer Illustrierten, das provokante Werbeplakat oder den Signalton einer eingehenden Nachricht.
 
Mediziner behaupten, dass wir größtenteils in unserem Wachbewusstsein nicht über geistige Selbstbestimmung verfügen. Das heißt, unsere geistige Selbstständigkeit, unsere Fähigkeit zur Selbststeuerung stehen auf dem Spiel. Wir haben mittlerweile so viele Technologien erschaffen, die nicht daran interessiert sind, dass wir achtsam sind, sondern sie versuchen, durch Reizüberflutung unsere Achtsamkeit zu  zerstreuen, zu manipulieren und zu zerstören.
Der Kampf unserer Zeit ist der Kampf um dein und mein Bewusstsein.  Wir waren noch nie einem dermaßen dichten Angebot an Aufmerksamkeitsfängern ausgesetzt. Es scheint so, dass alles und jeder versucht, unser Interesse zu wecken. Da wird um Beachtung gerangelt und gekämpft. Ich denke da an die teilweise sehr peinlichen Reality-Shows und die permanenten Castings, in denen es vor allem darum geht, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Was tut der Mensch nicht alles für fünf Minuten Berühmtheit?
Auch ich kämpfe, aber nicht, um prominent zu werden, sondern um wahrgenommen  zu werden als Meditationstrainerin, als mögliche Partnerin. Es stört mich, wenn mein Gegenüber in der rechten Hand die Gabel hat und in der linken das Smartphone und mit mir spricht. Dass die akzeptable Zeitspanne zwischen dem Verschicken einer Nachricht und der Antwort immer kürzer wird, stresst mich.  Ich mag den Bildschnitt der Filme nicht, diese ruckartigen Unterbrechungen der Bildeinstellungen machen mich nervös. Ich will nicht permanent online und erreichbar sein. Durch das Smartphone verschwimmt die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr und das gefällt mir überhaupt nicht.
 
Auch in der Wirtschaft bzw. der Werbung dreht sich alles um die Frage: „Wie schaffe ich Aufmerksamkeit und Begehren – wie schaffe ich Markt?“ Und das bringt sie zustande, indem sie an unsere ursprünglichsten Instinkte appelliert. Sex sells. Mit unseren Wünschen und Träumen wird ein gutes Geschäft gemacht. Ich möchte nicht als Konsumidiotin enden.
Meine Schlussfolgerung aus all den Überlegungen ist, dass die Fähigkeit zu filtern, auszusieben und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, immer wichtiger wird. Das ist keine leichte Aufgabe, aber ich versuche mit Achtsamkeitstraining Herrin meiner Gedanken und Emotionen zu bleiben. Ich möchte nicht gegängelt und gedacht werden.
Eine Träumerin