Ein Geschenk Gottes
an die Menschen
Ich habe mir eingebildet, ich sei ein Geschenk Gottes für die Menschen. Wie kam ich nur auf die Idee? Ich bin höflich, verlässlich, treu, wahrheitsliebend. Meine Arbeit mache ich gut und gerne. Nie würde ich mit Absicht jemanden kränken oder verletzen, ich bin rücksichtsvoll. Es kommt bei mir nicht vor, dass ich jammere oder hinterrücks über andere lästere. Kurz gesagt: „Ich bin ein guter Mensch.“ Das dachte ich.
Zu Weihnachten bekam ich einen Kalender mit Segenssprüchen geschenkt. Auf dem Kalenderblatt vom Jänner steht: „Möge dein Herz immer so gestimmt sein, dass du wenigstens einem Menschen am Tage Freude bereitest.“
Ein wunderbarer Spruch, viel zu schade, um ihn nur zu lesen und als schöne Anregung abzutun.
Ich dachte darüber nach, wie das bei mir ist. Kann ich sagen: „Ich habe zumindest heute einem Menschen Freude bereitet.“? Das Ergebnis meines Nachdenkens war ernüchternd. Aus beruflichen Gründen treffe ich jeden Tag mit vielen Leuten zusammen. Aber an den wenigsten Tagen bereite ich jemandem Freude.
Ein Kompliment gibt es bei mir nur, wenn jemand fantastisch aussieht. Anerkennende Worte kommen mir lediglich bei Spitzenleistungen über die Lippen. Wer in Zeiten wie diesen trotz der vielfältigen Herausforderungen gute Arbeit leistet, hat ein Lob verdient. Leider habe ich das bis jetzt nicht so gesehen. Ich helfe gerne, nur möchte ich darum gebeten werden, weil ich mich nicht aufdrängen will. Kleine nette Gesten der Aufmerksamkeit gibt es bei mir nicht, weil ich zu wenig aufmerksam bin. Ich bin ein zugeknöpfter, verschlossener, introvertierter Mensch. Das ist schade und ich möchte es gerne ändern.