Erntedank


Ich sitze in der Küche und schreibe gerade diesen Text. Es duftet nach Zwetschken, die sich in meinem Herd schön langsam in Powidl verwandeln. Ein herrlicher Spätsommertag neigt sich dem Ende zu und ich bewundere die großen Blüten der Sonnenblumen in der Vase. Dabei steigt eine leise Wehmut in mir auf, denn ich bemerke auch die vielen Kleinigkeiten, die mir sagen, dass der Herbst bereits da ist. Da sind die kürzer werdenden Tage, der Nebel am Morgen, das eingekochte Gemüse in den Gläsern auf der Anrichte und das bevorstehende Erntedankfest.
Für mich ist der Herbst eine Zeit des Übergangs in eine Zeit der Ruhe und Dunkelheit. Nicht nur die Sonne versinkt am Horizont, das schnell verschwindende Licht ist für mich ein Hinweis auf das schwindende Jahr und den hereinbrechenden Winter mit seinen langen Nächten.
Die Wochen der Ernte sind für mich auch ein guter Zeitpunkt, um Bilanz zu ziehen. Das heißt für mich, zurückzuschauen bzw. ganz genau hinzuschauen und wahrzunehmen, was von dieser Ernte möchte ich behalten, was kommt in meinen Keller, in meine Vorratskammer, in die Kühltruhe und was landet auf dem Kompost.
Wenn ich auf die Ernte zurückschaue, auch auf das Nichtmaterielle, meine Erlebnisse und Erfahrungen in diesem Jahr, dann wird mir klar, wofür ich dankbar bin. Beim Aufzählen von dem, was mich froh, glücklich und zufrieden macht, wird mir bewusst, dass eine enge Verbindung von Empfangenem und Erarbeitetem, von Geschenk und selbst Geleistetem besteht. Wir müssen vieles tun und sind doch fürs Gelingen immer auf Faktoren angewiesen, die wir selbst nicht in der Hand haben.
Eigentlich feiere ich jeden Tag Erntedank. Vor dem Einschlafen blicke ich noch einmal auf die Ereignisse des Tages zurück. Ich klopfe mir anerkennend auf die Schulter für das, was mir gelungen ist. Nüchtern schaue ich an, was nicht so gut gegangen ist, und versuche, mich an die kleinen Glücksmomente des Tages zu erinnern. Allerdings schleicht sich dabei immer wieder einmal ein kritischer und argwöhnischer Blick ein. Auch bei mir ist manches Mal das Glas halb leer statt halb voll.
Am besten ist der gelebte Dank, in dem man in vollen Zügen genießt, was man von der Natur, den Menschen und von Gott geschenkt bekommt. Dabei übersieht der Mensch gerne, womit er von Gott gesegnet wird: Friede, Liebe, Geborgenheit und Glück. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Dazu gibt es nächste Woche eine Geschichte.

Eine Träumerin