Fasching – Die Freiheit, jemand anders zu sein
Einmal im Jahr fällt die Alltagsmaske – und wir schlüpfen in eine neue Rolle. Der Fasching ist eine Zeit, in der wir uns verwandeln, ausprobieren und für kurze Zeit eine andere Identität annehmen können. Schon als Kind habe ich diese Möglichkeit geliebt: das Schminken, das Sich-unkenntlich-Machen, die Freude an den vielen bunten Kostümen. Mal war ich eine Prinzessin, mal ein Kätzchen oder Pippi Langstrumpf – immer auf der Suche nach neuen, spannenden Rollen.
Für dieses Jahr habe ich mir „Alice im Wunderland“ als Inspiration gewählt. Dieses wunderbare, verrückte und tiefgründige Buch begleitet mich schon lange, und erst vor Kurzem habe ich es wieder gelesen. Es steckt voller Weisheit und Symbolik – nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene. Es geht um Akzeptanz, Sinnsuche, Selbst-Erkenntnis und wahre Stärke. Doch welche Figur aus dem Wunderland soll ich verkörpern? Bin ich Alice, die staunend durch eine seltsame Welt stolpert? Oder doch die Herzkönigin, herrisch und unberechenbar? Vielleicht der verrückte Hutmacher, dessen Kreativität keine Grenzen kennt? Oder das weiße Kaninchen, das immer in Eile ist?
Manchmal fühle ich mich selbst wie Alice in einer Welt voller Absurditäten, Überraschungen und Herausforderungen. Überall scheinen unlogische Regeln und widersprüchliche Aussagen zu existieren. „Vielleicht ist es besser loszulassen, als daran kaputtzugehen“, höre ich Alice in meinem Inneren flüstern. Und dann sehe ich in meiner Fantasie Politiker als schrullige Wunderland-Bewohner: Der Hutmacher sagt mit einem breiten Grinsen: „Ich bin nicht verrückt. Meine Realität ist einfach anders als deine.“ Ein Kartenkönig philosophiert: „Wenn es keinen Sinn hat, dann können wir uns eine Menge Mühe sparen, weil wir dann nämlich gar nicht erst versuchen müssen, einen zu finden.“
Die Welt scheint manchmal auf den Kopf zu stehen – doch genau das macht Fasching so besonders. Es ist ein Fest, das auf uralte Traditionen zurückgeht. Bereits in der Antike feierten die Römer die Saturnalien, ein Fest zu Ehren des Gottes Saturn. Während dieser Zeit wurden Standesunterschiede aufgehoben, Herren bedienten Sklaven, und der Alltagstrott wich ausgelassener Freude. Ähnliche Bräuche fanden sich in den heidnischen Winteraustreibungsfesten wieder: Masken sollten böse Geister vertreiben, das Chaos durfte für kurze Zeit die Ordnung durchbrechen.
Heute hat der Karneval eine gemäßigtere Form angenommen, doch der Kern ist geblieben: Verkleidung und Narrenfreiheit ermöglichen es uns, für kurze Zeit aus der gewohnten Rolle zu schlüpfen. Wir dürfen uns anders fühlen, anders denken und vielleicht sogar Dinge ausprobieren, die im Alltag nicht möglich sind.
Dieses Jahr werde ich als Alice in den Fasching eintauchen – gespannt, welche Gestalten mir begegnen. Vielleicht trifft man ja auf den ein oder anderen verrückten Hutmacher oder eine Grinsekatze. Fasching ist eben das Wunderland unserer Zeit: verrückt, bunt und voller Überraschungen. Wer weiß, welche Abenteuer auf mich warten?
Eine Träumerin