Glück und Unglück

„Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ So beginnt Leo Tolstois berühmter Roman „Anna Karenina“. Glück und Unglück: Würden wir unser Dasein wie eine Erdkugel betrachten, dann wären dies wohl die beiden Pole. Und alles, was sich dazwischen abspielt, ist unser Leben. Mal führt es uns in die Nähe des Glückspols – ein anderes Mal geht es in die gegengesetzte Richtung. Und hätten wir einen Kompass, würden wir wohl immer versuchen, der Nadel zu folgen, die den Pol des Glücks anstrebt.
Das Unglück aber kommt als ungebetener Gast, und das oft mit einer Wucht, die uns den Atem raubt. „Viele Menschen, wissen, dass sie unglücklich sind. Aber noch mehr Menschen wissen nicht, dass sie glücklich sind“, stellte Albert Schweitzer fest. Schweitzer fiel dieser merkwürdige Widerspruch auf, dass wir das Unglück fast immer erkennen, aber das Glück oft nicht als das beachten, was es ist.
Da, wo das Unglück laut, ungestüm und schmerzhaft auftritt, ist das Glück meist leise und verhalten. Es ist eher scheu und zeigt sich in seiner Klarheit nur selten – etwa, wenn wir frisch verliebt sind oder gerade Eltern werden. Dann ist es da, groß, raumfüllend und scheinbar niemals endend. Doch Hochgefühle sind vergänglich – das gilt auch fürs Glücklichsein. Aber was dann bleibt, ist nicht zwangsläufig der Weg ins Unglück. Ganz im Gegenteil: das Glück ist uns oft viel näher, als wir glauben. Es kann in kleinsten Begebenheit stecken, ja sogar in den ganz gewöhnlichen Dingen des Alltags, denen wir kaum Bedeutung zumessen. Oft stellen wir erst in der Rückschau fest, wie glücklich wir waren.
Und vielleicht ist dies das größte Geheimnis der Glückssuche – das wir es nicht in der Länge des Lebens finden werden, sondern immer in der Tiefe – und im Hier und Jetzt.
Eine Träumerin