Im Reich der Fülle

Ich lebe in einem Reich der Fülle. Das macht sich schon im Vorraum meiner Wohnung bemerkbar. Die Haken meiner Garderobe sind voll mit Jacken und Schals. In meinem Schuhschrank befinden sich 20 Paar Schuhe und davor stehen auch noch etliche Paare
In der Küche stapeln sich das Geschirr und die Kochbücher. Die kleine Vorratskammer, der Kühlschrank und die Gefrierfächer darunter sind wohlgefüllt. Bei einem Blackout werde ich mit Sicherheit nicht verhungern.


In meinem Büro gibt es zwei Schränke voller Aktenordnern, die voll mit Arbeitsunterlagen und –materialien sind. Dazu kommt noch eine Bücherwand. Ich muss gestehen, diese Fülle überfordert mich und ich habe längst den Überblick verloren.

Bei meinen Kleiderschränken ist es ähnlich. Sie sind vollgestopft mit Hosen, Pullis, T-Shirts und Jacken. Oft suche ich lange nach einem Kleidungsstück, dafür entdecke ich beim Durchwühlen meines Kastens manches, das ich schon völlig vergessen hatte. Dieses Zuviel wird für mich zunehmend zur Belastung.

An mein E-Mail-Postfach will ich gar nicht denken, die Mails werden jeden Tag mehr. Dazu kommen noch unzählige Dokumente, die ich in verschiedenen Ordnern abgespeichert habe. Nicht zu vergessen sind auch die tausenden Fotos auf meiner Cloud. Mittlerweile fehlt mir der Durchblick.
Das ist die Fülle in meinem persönlichen Bereich, dazu kommt noch die Fülle, von der ich im Außen umgeben bin. Ich bin einer Informationsflut durch Werbung, Radiosender, Fernsehkanäle, Podcasts, Sendungen, Websites, die bei mir Stress und Verwirrung auslöst, ausgesetzt Mein Bedarf an Schreckensnachrichten, banalen Dokus, Promiklatsch und sonstigen Medienmüll ist mehr als gedeckt. Am schlimmsten sind für mich die 24 Stunden Dauernachrichtensendungen ohne wirklichen Inhalt, aber voller Trivialitäten und Gerüchte. Ich brauche eine Datendiät.

Gehe ich in ein Shoppingcenter, denke ich an Weihnachten und einen übervollen Gabentisch. Die Läden sind bis zum Rand mit den verschiedensten Sachen vollgestopft. Mich hat diese Fülle einst begeistert. Jetzt leide ich unter der Qual der Wahl. Der Supermarkt bietet 27 Varianten von Coca Cola an und führt 65 Sorten Joghurt in seinem Sortiment. Bei dieser großen Auswahl wird der Entscheidungsprozess immer schwieriger und ermüdet mich.

Ein reichhaltiges Buffet in einem Restaurant löst bei mir immer Begeisterung aus. Ich fühle mich wie im Paradies und esse, so viel ich kann. Ich belade meinen Teller mit den verschiedensten Schmankerln, weil ich am liebsten alles kosten möchte. Leider esse ich meist mehr, als mir guttut, und dann bin ich träge und müde und habe für den Rest des Tages keine Energie mehr, weil mein Körper mit dem Verdauen der Speisen beschäftigt ist.
Ich lebe in einem Reich der Fülle, das klingt fantastisch, ist es aber nicht. Irgendwann habe ich den Überblick verloren und die Fülle wurde mir zu viel. Ich versuche das rechte Maß zu finden. Die Fastenzeit ist ein guter Zeitpunkt, um damit zu beginnen. Los geht`s!
Eine Träumerin