Innehalten und einstimmen

Der Advent ist eine besondere Zeit im Jahr – eine Einstimmungsphase, eine Vorbereitungszeit auf das große Fest Weihnachten. Im Kirchenjahr haben die bedeutenden Feste immer eine Phase der Vorbereitung, in der das Innehalten, Umschalten und Einschwingen Raum bekommen sollen. Ich sehe darin eine große Lebensweisheit: Langsam werden, sich einstellen, ruhig werden – damit wir innerlich nachkommen und uns öffnen für das Neue, das kommt.
Ich entdecke darin eine der Grundwahrheiten des Lebens: Entwicklungen brauchen ihre Zeit, Veränderung braucht ihre Dauer, und Wandlung ist ein Weg, der nicht von heute auf morgen, nicht einfach und schnell und schon gar nicht auf Knopfdruck zu erreichen ist.
Heute soll alles schnell gehen. Essen wird in wenigen Minuten in der Mikrowelle zubereitet, Autos, Züge und Flugzeuge werden immer schneller, Heilungsprozesse möchte man mit Medikamenten im Eiltempo beschleunigen. Selbst in der Psychotherapie gibt es den Trend, dass Heilung nach wenigen Sitzungen eintreten soll. Und in spirituellen Bewegungen sucht man nach großen Erfahrungen in kürzester Zeit, bequem und ohne große Anstrengung.
„Zeit ist Geld“, heißt es oft, und wir neigen dazu, diese Weisheit zu glauben. Wir versuchen, die Zeit zu vermehren, indem wir immer konzentrierter und knausriger mit ihr umgehen. Durch bewusstes Zeitmanagement hoffen wir, die Zeit zu vermehren, doch anstatt der ersehnten Ruhe und Gelassenheit geraten wir meist erneut in Hetze und Eile.
Wirkliches Wachstum jedoch braucht Zeit. In der Natur sehen wir den Kreislauf des Werdens und Vergehens, die Phasen der Expansion und Stabilisierung – und diese Stabilisierung ist keine Stagnation, sondern eine Festigung. Alles braucht Vorbereitung, Einstimmung und Hinführung: Essen benötigt die Zeit der Zubereitung, Arbeit verlangt das Herrichten von Werkzeugen, Chöre brauchen das Einsingen, Sportler das Warmlaufen, menschliche Begegnungen ein Kennenlernen, und das Liebesspiel braucht sein Vorspiel.
Doch diese Vorbereitungszeit wird oft vergessen. Warum steigert sich das Lebenstempo kontinuierlich? Woher kommt das Streben nach Schnelligkeit, das Denken in Knopfdruckkategorien? Woher kommt unsere Atemlosigkeit und Hast?
Es ist ein Lebensgesetz, dass alles eine Wartezeit, eine Einstimmung, einen Vorgeschmack braucht. Der Advent hilft mir, mich daran zu erinnern. Vier Wochen der Vorbereitung und Wartezeit – wieder lernen zu warten, Geduld zu haben und Zeit zu schenken. Ich freue mich schon auf meine adventlich verbrachten Abende, mit Kerzen, die den Tag ruhiger machen, mit Büchern und Musik. Der Advent ist für mich nicht nur eine religiöse Vorbereitung, sondern auch eine Lebensschule, die mich daran erinnert, dass alles Gute – Veränderung, Heilung, Wachstum – seine Zeit braucht.
Vielleicht ist der Advent auch eine Einladung für dich, dir Zeit zu nehmen, das Tempo zu drosseln und dich auf das vorzubereiten, was wirklich wichtig ist.
Eine Träumerin