Mein Körper und ich
Mein Körper trägt mich verlässlich durch die Welt und dabei puffert er die Folgen meiner Sabotageakte Tag für Tag ab. Er isst brav, was er von mir serviert bekommt, weil ich irgendwo irgendwann gehört habe, dass es gesund sei. Dabei ist er doch der kompetentere Kollege. Er ist es, der das Zeug verstoffwechselt, für seine Arbeit nutzt und wieder ausscheidet. Er sorgt dafür, dass ich immer atme, dass mein Herz schlägt und der Kreislauf immer weiterläuft, kurz gesagt, dass ich lebe!
Dankbar bemerke ich, dass er sich nur selten beklagt, eigentlich nur dann, wenn es gar nicht mehr anders geht. Wenn ich beim Feiern oder Frustessen übertrieben habe, reagiert er mit Kopf- oder Bauchweh und schon ist er für mich der Schwächling, der nichts aushält.
Und wenn ich krank werde, weil ich Blödsinn getrieben habe wie zu vieles Fernsehen, zu viel Arbeit, keine Bewegung, kaum frische Luft, dann maule ich, weil der Körper gefälligst zu funktionieren hat wie eine Maschine. Ich kämpfe gegen die Krankheit und bemühe mich, sie zu besiegen, anstatt sie als das zu sehen, was sie ist, die einzige Möglichkeit des Körpers, mich darauf hinzuweisen, dass etwas nicht rundläuft.
Eigentlich ist sowieso meist der Körper schuld, wenn etwas nicht läuft, wie ich es will. Wenn ich beim Meditieren nicht bei der Sache bin, dann liegt die Verantwortung beim Körper, der nicht ruhig sitzen kann oder seine Knie im Lotussitz wehtun.
Mein Geist will angeblich Neues lernen, aber das notwendige Training, das er dem Körper abverlangt, absolviert er nur selten. Ich will fremde Welten erobern, aber nach der ersten Hürde gebe ich auf. Schuld ist natürlich der Körper, der mich mit aller Gewalt in der Komfortzone festhält.
Dann sind da die Nächte, in denen ich nicht schlafen kann und nicht weiß, was die Ursache ist. In einer dieser wachen Momente kam mir der Gedanke, dass ich meinem Leib gegenüber sehr unfair bin. Ohne mein Ego, ohne meinen Geist und ohne meinen Willen könnte mein Körper morgens frisch erholt aufstehen, ohne Sorgen, ohne Grübeln, ein leichtes Frühstück zu sich nehmen und dann im Wald spazieren gehen oder zur Massage. Er würde die Welt viel intensiver mit seinen Sinnen erfahren, sich an Düften, Farben, Tönen und handfester Haptik erfreuen. Er würde nicht festhalten, was ihn belastet, und nur im Moment leben: intensiv, genussvoll und frei von Erwartungen und Angst.
In Wirklichkeit steht mein Körper nach so einer Nacht verlässlich auf, schleppt sich ins Badezimmer und hört sich an, wie ich nörgle: verschwollene Tränensäcke und zu dunkle Schatten unter den Augen, zu viele Falten, ich werde alt…
Das sind die wahren Dinge, mit denen sich mein Geist beschäftigt, obwohl er immer so tut, als ginge es ihm um Höheres, um Philosophie oder Spiritualität.
Und mein Körper lässt mein Ego in dem Glauben, denn er kennt seine wahre Stärke. Er weiß, dass er nur mit seinem Herzen unregelmäßig zu zucken braucht, um mein Ego in die Knie zu zwingen. Aber er tut es nicht, denn er ist sehr geduldig. Ich hoffe, ich werde dazulernen und die Sabotageakte beenden und mehr auf seine Signale achten.
Eine Träumerin