Ratschläge sind Schläge

Die Aussage „Ratschläge sind Schläge“ habe ich lange nicht verstanden. Ich war immer dankbar und froh über jeden guten Tipp bzw. Ratschlag. Es ist doch nett von meinen Mitmenschen, wenn sie mich darauf aufmerksam machen, wie man etwas  besser machen könnte, oder sie mir die Lösung für ein Problem offenbaren. Wenn ich nicht mehr weiter weiß und jemand zeigt mir Möglichkeiten auf, bin ich dankbar. Umgekehrt freue ich mich, wenn ich jemanden mit einem guten Ratschlag weiterhelfen kann. Manchmal bekommt man von mir auch Ratschläge, obwohl ich gar nicht darum gebeten wurde. Ich  kann nicht zusehen, wenn sich jemand das Leben schwer macht und die Lösung offensichtlich ist. Oft ist man so sehr in Schwierigkeiten verstrickt, dass man nicht mehr weiterweiß. Da ist ein guter Ratschlag willkommen.

 
In den Buchhandlungen findet sich eine große Menge an Ratgebern für die verschiedensten Probleme im Leben. Ich schließe daraus, dass die Not bzw. Ratlosigkeit groß ist und ebenso groß ist der Bedarf an Informationen, die weiterhelfen und die „Not“ wenden.
Aber es gibt auch eine dunkle Seite, die in der Aussage „Ratschläge sind Schläge“ zum Ausdruck gebracht wird. Ich bin hochgradig schwerhörig und vor einiger Zeit sagte jemand zu mir: „Lass dir die Haare abschneiden, dann hörst du auch wieder besser.“ Das war für mich, wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Es war mir leider nicht möglich, diese Aussage mit dem Gedanken „So etwas Blödes habe ich in meinem Leben noch nie gehört“ abzutun. Es hat wehgetan, ich habe mich sehr darüber geärgert und dieser Mensch hat mich schwer enttäuscht.
Durch die Erfahrung wurde ich sensibler und hörte aufmerksamer zu und musste feststellen: Es ist  teilweise haarsträubend, was Menschen anderen Menschen raten ohne deren Lebenssituation zu  kennen.
Ein Landwirt  äußert den Wunsch in seiner Freizeit auch mal ohne Handy unterwegs zu sein. Er hat die Umstehenden nicht um ihren Rat  gefragt, sondern er hat einfach nur seiner Sehnsucht Ausdruck verliehen. Prompt wird ihm gesagt, er solle es einfach weglegen, er bräuchte es ja nicht mitzunehmen. Was nicht stimmt, denn sämtliche Steuerungen seines Betriebes (Wasser, Belüftung usw.) sind mit dem Handy verbunden und melden Störungen, auf die möglichst zeitnah reagiert werden sollte und nicht erst einen halben Tag später. Davon hatte der Ratgeber keine Ahnung, aber trotzdem fühlte er sich kompetent genug einen banalen, unpassenden Kommentar abzugeben.
Leider passiert so etwas sehr häufig. Es gibt eine große Anzahl von Menschen, die genau wissen, wie fremde Kinder erzogen werden sollten und welche Erziehungsmaßnahmen die richtigen sind. Zum Glück sagt man das den Eltern nicht ins Gesicht, sondern redet meist hinterrücks darüber. Über die Lebenssituation der Familie weiß man fast nichts, aber man weiß, wie es besser geht.
Ich habe keine Kinder und trotzdem gebe ich Empfehlungen ab oder denke mir: „Mein Kind würde das nicht machen.“  Warum kann ich nicht einfach die Klappe halten? Wäre es nicht besser, ich konzentriere mich darauf, mein Leben zu meistern, anstatt anderen Menschen gefragt oder ungefragt einen Rat zu geben? Nach dem Motto: „Ich weiß wie‘s geht.“
Eine Träumerin