Wie geht loslassen?

Du musst loslassen. Mittlerweile reagiere ich allergisch auf diesen Satz. Ist er doch ein beliebter Ratschlag, der zu fast allem passt. Egal, ob es sich um alten Krempel handelt oder um Ärger. Du musst loslassen, passt immer. Auf die Frage, was ich da genau tun soll, weiß niemand eine Antwort, außer das lapidare: „Na, einfach loslassen!“
In einer Netflix-Serie hilft Marie Kondo Menschen dabei, ihre Wohnung auszumisten. Am Ende der Folgen weinen viele ihrer Kunden vor Freude, weil sie endlich all die überflüssigen Dinge, die ihr Zuhause verstopft haben losgeworden sind.
Minimalismus wurde in den letzten Jahren zu einem Lifestyle-Trend. Auf YouTube gibt es mittlerweile eine unüberschaubare Menge an Videos, in denen ein reduzierter, nachhaltiger Lebensstil beschrieben wird.
Auch die Religionen geben ihren Gläubigen den Rat loszulassen, in dem Sinne: „Alles loszulassen bedeutet nicht, dass du nichts besitzen sollst, sondern dass dich nichts mehr besitzen soll.“ Es geht dabei um Erlösung oder, weniger religiös ausgedrückt, um Befreiung. Jede der verschiedenen Glaubensrichtungen kennt Zeiten des Fastens und Mönche und Nonnen besitzen sehr wenig. Nichts soll sie von dem Dienst an Gott und den Menschen abhalten.
Wer möchte, findet auch in der antiken Philosophie eine Lebensweise, die von „weniger ist mehr“ geprägt ist.
Leider konnten mir all die vielen Bücher, Videos, Tipps und Ratschläge bei meinem Problem nicht helfen. Ein Tag des Fastens ist für mich eine leichte Übung. Alte, abgetragene Kleidung auszusortieren, klappt auch wunderbar, sobald ich mir Zeit dafür nehme.
Viel schwieriger ist es für mich, die Angst, den Ärger, die Sorgen, die Beurteilungen, die Vorstellungen und Erwartungen loszulassen. All das würde ich wirklich gerne loswerden, ich möchte „Frei-Werden“ davon. Weg mit all dem, aber diese „Dinge“ lassen sich nicht so einfach verscheuchen, sie sind wie lästige Fliegen. Selbst das Mantra: „Wer mich ärgert, bestimme immer noch ich.“ , hilft mir wenig. Genauso schwer ist es, sich von manchen Vorstellungen, wie was zu sein hat, zu lösen. Das gilt auch für die Erwartungen, die mir das Leben nicht gerade leichter machen. Trotzdem ertappe ich mich immer wieder, dass ich mir denke: „Das wird man sich doch erwarten dürfen.“
Loslassen ist kein reiner Willensakt, es muss gelernt oder besser gesagt geübt werden, Tag für Tag, bis man eines Tages feststellt: „Ich habe losgelassen.“ Wenn die Zeit gekommen ist, wird es kein Kampf und keine Anstrengung mehr sein. Eines Tages werde ich es „so sein lassen können“, wie es ist. Meditation soll mir dabei helfen. Es wird ein stilles Loslassen sein und unbemerkt bleiben. Und ich werde frei sein.
Eine Träumerin